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Rudolf Steiner: Unsere Wahrnehmungen können nur unseren Wahrnehmungen ähnlich sein! Rudolf Steiner: Unsere Wahrnehmungen können nur unseren Wahrnehmungen ähnlich sein!
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Was wir einen Gegenstand nennen, ist nichts anderes als eine Gruppe von Wahrnehmungen, die in einer bestimmten Weise verbunden sind. Die Beobachtung des Gegenstandes... Rudolf Steiner: Unsere Wahrnehmungen können nur unseren Wahrnehmungen ähnlich sein!

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von Rudolf Steiner.

Durch das Denken entstehen Begriffe und Ideen. Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt werden. Worte können nur den Menschen darauf aufmerksam machen, dass er Begriffe habe. Wenn jemand einen Baum sieht, so reagiert sein Denken auf seine Beobachtung; zu dem Gegenstande tritt ein ideelles Gegenstück hinzu, und er betrachtet den Gegenstand und das ideelle Gegenstück als zusammengehörig. Wenn der Gegenstand aus seinem Beobachtungsfelde verschwindet, so bleibt nur das ideelle Gegenstück davon zurück. Das letztere ist der Begriff des Gegenstandes.

Je mehr sich unsere Erfahrung erweitert, desto größer wird die Summe unserer Begriffe. Die Begriffe stehen aber durchaus nicht vereinzelt da. Sie schließen sich zu einem gesetzmäßigen Ganzen zusammen. Der Begriff ‚Organismus‘ schließt sich zum Beispiel an die andern: gesetzmäßige Entwickelung, Wachstum an. Andere an Einzeldingen gebildete Begriffe fallen völlig in eins zusammen. Alle Begriffe, die ich mir von Löwen bilde, fallen in den Gesamtbegriff ´Löwe‘ zusammen. Auf diese Weise verbinden sich die einzelnen Begriffe zu einem geschlossenen Begriffssystem, in dem jeder seine besondere Stelle hat.

Ideen sind qualitativ von Begriffen nicht verschieden. Sie sind nur inhaltsvollere, gesättigtere und umfangreichere Begriffe. Ich muss einen besonderen Wert darauf legen, dass hier an dieser Stelle beachtet werde, dass ich als meinen Ausgangspunkt das Denken bezeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann daher, was ich in Bezug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden. Der Begriff kann nicht aus der Beobachtung gewonnen werden. Das geht schon aus dem Umstande hervor, dass der heranwachsende Mensch sich langsam und allmählich erst die Begriffe zu den Gegenständen bildet, die ihn umgeben. Die Begriffe werden zu der Beobachtung hinzugefügt.

Ein vielgelesener Philosoph der Gegenwart, Herbert Spencer, schildert den geistigen Prozess, den wir gegenüber der Beobachtung vollziehen, folgendermaßen: [im Spoiler]

Nun ist es am Platze, von dem Denken auf das denkende Wesen überzugehen, denn durch dieses wird das Denken mit der Beobachtung verbunden.

Das menschliche Bewusstsein ist der Schauplatz, wo Begriff und Beobachtung einander begegnen und wo sie miteinander verknüpft werden. Dadurch ist aber dieses (menschliche) Bewusstsein zugleich charakterisiert. Es ist der Vermittler zwischen Denken und Beobachtung. Insoferne der Mensch einen Gegenstand beobachtet, erscheint ihm dieser als gegeben, insoferne er denkt, erscheint er sich selbst als tätig. Er betrachtet den Gegenstand als Objekt, sich selbst als das denkende Subjekt.

Weil er sein Denken auf die Beobachtung richtet, hat er Bewusstsein von den Objekten; weil er sein Denken auf sich richtet, hat er Bewusstsein seiner selbst oder Selbstbewusstsein.

Das menschliche Bewusstsein muss notwendig zugleich Selbstbewusstsein sein, weil es denkendes Bewusstsein ist. Denn wenn das Denken den Blick auf seine eigene Tätigkeit richtet, dann hat es seine ureigene Wesenheit, also sein Subjekt, als Objekt zum Gegenstande.

Nun darf aber nicht übersehen werden, dass wir uns nur mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen und uns den Objekten entgegensetzen können. Deshalb darf das Denken niemals als eine bloß subjektive Tätigkeit aufgefasst werden. Das Denken ist jenseits von Subjekt und Objekt. Es bildet diese beiden Begriffe ebenso wie alle anderen.

Wenn wir als denkendes Subjekt also den Begriff auf ein Objekt beziehen, so dürfen wir diese Beziehung nicht als etwas bloß Subjektives auffassen. Nicht das Subjekt ist es, welches die Beziehung herbeiführt, sondern das Denken. Das Subjekt denkt nicht deshalb, weil es Subjekt ist; sondern es erscheint sich als ein Subjekt, weil es zu denken vermag.

Die Tätigkeit, die der Mensch als denkendes Wesen ausübt, ist also keine bloß subjektive, sondern eine solche, die weder subjektiv noch objektiv ist, eine über diese beiden Begriffe hinausgehende. Ich darf niemals sagen, dass mein individuelles Subjekt denkt; dieses lebt vielmehr selbst von des Denkens Gnaden. Das Denken ist somit ein Element, das mich über mein Selbst hinausführt und mit den Objekten verbindet. Aber es trennt mich zugleich von ihnen, indem es mich ihnen als Subjekt gegenüberstellt.

Darauf beruht die Doppelnatur des Menschen: er denkt und umschließt damit sich selbst und die übrige Welt; aber er muss sich mittels des Denkens zugleich als ein den Dingen gegenüberstehendes Individuum bestimmen.

Das Nächste wird nun sein, uns zu fragen: Wie kommt das andere Element, das wir bisher bloß als Beobachtungsobjekt bezeichnet haben, und das sich mit dem Denken im Bewusstsein begegnet, in das letztere?

Wir müssen, um diese Frage zu beantworten, aus unserem Beobachtungsfelde alles aussondern, was durch das Denken bereits in dasselbe hineingetragen worden ist. Denn unser jeweiliger Bewusstseinsinhalt ist immer schon mit Begriffen in der mannigfachsten Weise durchsetzt.

Wir müssen uns vorstellen, dass ein Wesen mit vollkommen entwickelter, menschlicher Intelligenz aus dem Nichts entstehe und der Welt gegenübertrete. Was es da gewahr würde, bevor es das Denken in Tätigkeit bringt, das ist der reine Beobachtungsinhalt. Die Welt zeigte dann diesem Wesen nur das bloße zusammenhanglose Aggregat von Empfindungsobjekten: Farben, Töne, Druck, Wärme, Geschmacks, und Geruchsempfindungen; dann Lust und Unlustgefühle. Dieses Aggregat ist der Inhalt der reinen, gedankenlosen Beobachtung. Ihm gegenüber steht das Denken, das bereit ist, seine Tätigkeit zu entfalten, wenn sich ein Angriffspunkt dazu findet. Die Erfahrung lehrt bald, dass er sich findet.

Das Denken ist imstande, Fäden zu ziehen von einem Beobachtungselement zum andern. Es verknüpft mit diesen Elementen bestimmte Begriffe und bringt sie dadurch in ein Verhältnis. Wir haben oben bereits gesehen, wie ein uns begegnendes Geräusch mit einer anderen Beobachtung dadurch verbunden wird, dass wir das Erstere als Wirkung des Letzteren bezeichnen.

Der naive Mensch betrachtet seine Wahrnehmungen in dem Sinne, wie sie ihm unmittelbar erscheinen – als Dinge, die ein von ihm ganz unabhängiges Dasein haben. Wenn er einen Baum sieht, so glaubt er zunächst, dass dieser in der Gestalt, die er sieht, mit den Farben, die seine Teile haben usw., dort an dem Orte stehe, wohin der Blick gerichtet ist. Wenn derselbe Mensch morgens die Sonne als eine Scheibe am Horizonte erscheinen sieht und den Lauf dieser Scheibe verfolgt, so ist er der Meinung, dass das alles in dieser Weise (an sich) bestehe und vorgehe, wie er es beobachtet. Er hält so lange an diesem Glauben fest, bis er anderen Wahrnehmungen begegnet, die jenen widersprechen.

Das Kind, das noch keine Erfahrungen über Entfernungen hat, greift nach dem Monde und stellt das, was es nach dem ersten Augenschein für wirklich gehalten hat, erst richtig, wenn eine zweite Wahrnehmung sich mit der ersten im Widerspruch befindet.

Jede Erweiterung des Kreises meiner Wahrnehmungen nötigt mich, mein Bild der Welt zu berichtigen.

Das zeigt sich im täglichen Leben ebenso wie in der Geistesentwickelung der Menschheit. Das Bild, das sich die Alten von der Beziehung der Erde zur Sonne und den andern Himmelskörpern machten, musste von Kopernikus durch ein anderes ersetzt werden, weil es mit Wahrnehmungen, die früher unbekannt waren, nicht zusammenstimmte. Als Dr. Franz einen Blindgeborenen operierte, sagte dieser, dass er sich vor seiner Operation durch die Wahrnehmungen seines Tastsinnes ein ganz anderes Bild von der Größe der Gegenstände gemacht habe. Er musste dann seine Tastwahrnehmungen durch seine Gesichtswahrnehmungen berichtigen.

Woher kommt es, dass wir zu solchen fortwährenden Richtigstellungen unserer Beobachtungen gezwungen sind?

Eine einfache Überlegung bringt die Antwort auf diese Frage. Wenn ich an dem einen Ende einer Allee stehe, so erscheint mir die Blume, an dem andern von mir entfernten Ende, kleiner und näher aneinandergerückt als da, wo ich stehe. Mein Wahrnehmungsbild wird ein anderes, wenn ich den Ort ändere, von dem aus ich meine Beobachtungen mache. Es ist also in der Gestalt, in der es an mich herantritt, abhängig von einer Bestimmung, die nicht an dem Objekte hängt, sondern die mir, dem Wahrnehmenden, zukommt. Es ist für eine Allee ganz gleichgültig, wo ich stehe. Das Bild aber, das ich von ihr erhalte, ist wesentlich davon abhängig. Ebenso ist es für die Sonne und das Planetensystem gleichgültig, dass die Menschen sie gerade von der Erde aus ansehen. Das Wahrnehmungsbild aber, das sich diesen darbietet, ist durch diesen ihren Wohnsitz bestimmt.

Meine Wahrnehmungsbilder sind also zunächst subjektiv. Die Erkenntnis von dem subjektiven Charakter unserer Wahrnehmungen kann leicht zu Zweifeln darüber führen, ob überhaupt etwas Objektives denselben zum Grunde liegt. Wenn wir wissen, dass eine Wahrnehmung, zum Beispiel die der roten Farbe, oder eines bestimmten Tones nicht möglich ist ohne eine bestimmte Einrichtung unseres Organismus, so kann man zu dem Glauben kommen, dass dieselbe, abgesehen von unserem subjektiven Organismus, keinen Bestand habe, dass sie ohne den Akt des Wahrnehmens, dessen Objekt sie ist, keine Art des Daseins hat.

Diese Ansicht hat in George Berkeley einen klassischen Vertreter gefunden, der der Meinung war, dass der Mensch von dem Augenblicke an, wo er sich der Bedeutung des Subjekts für die Wahrnehmung bewusst geworden ist, nicht mehr an eine ohne den bewussten Geist vorhandene Welt glauben könne. Er sagt: [im Spoiler]

Dem Einwand, dass, wenn auch Figur, Farbe, Ton usw. keine andere Existenz als die innerhalb des Wahrnehmungsaktes haben, es doch Dinge geben müsse, die ohne das Bewusstsein da sind und denen die bewussten Wahrnehmungsbilder ähnlich seien, begegnet die geschilderte Ansicht damit, dass sie sagt: eine Farbe kann nur ähnlich einer Farbe, eine Figur ähnlich einer Figur sein.

Unsere Wahrnehmungen können nur unseren Wahrnehmungen, aber keinerlei anderen Dingen ähnlich sein. Auch was wir einen Gegenstand nennen, ist nichts anderes als eine Gruppe von Wahrnehmungen, die in einer bestimmten Weise verbunden sind.

Nehme ich von einem Tische Gestalt, Ausdehnung, Farbe usw., kurz alles, was nur meine Wahrnehmung ist, weg, so bleibt nichts mehr übrig. Diese Ansicht führt konsequent verfolgt zu der Behauptung: Die Objekte meiner Wahrnehmungen sind nur durch mich vorhanden, und zwar nur insoferne und solange ich sie wahrnehme; sie verschwinden mit dem Wahrnehmen und haben keinen Sinn ohne dieses. Außer meinen Wahrnehmungen weiß ich aber von keinen Gegenständen und kann von keinen wissen.

Gegen diese Behauptung ist so lange nichts einzuwenden, als ich bloß im Allgemeinen den Umstand in Betracht ziehe, dass die Wahrnehmung von der Organisation meines Subjektes mitbestimmt wird. Wesentlich anders stellte sich die Sache aber, wenn wir imstande wären, anzugeben, welches die Funktion unseres Wahrnehmens beim Zustandekommen einer Wahrnehmung ist. Wir wüssten dann, was an der Wahrnehmung während des Wahrnehmens geschieht, und könnten auch bestimmen, was an ihr schon sein muss, bevor sie wahrgenommen wird.


Damit wird unsere Betrachtung von dem Objekt der Wahrnehmung auf das Subjekt derselben abgeleitet. Ich nehme nicht nur andere Dinge wahr, sondern ich nehme mich selbst wahr. Die Wahrnehmung meiner selbst hat zunächst den Inhalt, dass ich das Bleibende bin gegenüber den immer kommenden und gehenden Wahrnehmungsbildern. Die Wahrnehmung des Ich kann in meinem Bewusstsein stets auftreten, während ich andere Wahrnehmungen habe. Wenn ich in die Wahrnehmung eines gegebenen Gegenstandes vertieft bin, so habe ich vorläufig nur von diesem ein Bewusstsein. Dazu kann dann die Wahrnehmung meines Selbst treten. Ich bin mir nunmehr nicht bloß des Gegenstandes bewusst, sondern auch meiner Persönlichkeit, die dem Gegenstand gegenübersteht und ihn beobachtet.

Ich sehe nicht bloß einen Baum, sondern ich weiß auch, dass ich es bin, der ihn sieht. Ich erkenne auch, dass in mir etwas vorgeht, während ich den Baum beobachte. Wenn der Baum aus meinem Gesichtskreise verschwindet, bleibt für mein Bewusstsein ein Rückstand von diesem Vorgange: ein Bild des Baumes. Dieses Bild hat sich während meiner Beobachtung mit meinem Selbst verbunden. Mein Selbst hat sich bereichert; sein Inhalt hat ein neues Element in sich aufgenommen. Dieses Element nenne ich meine Vorstellung von dem Baume.

Ich käme nie in die Lage, von Vorstellungen zu sprechen, wenn ich diese nicht in der Wahrnehmung meines Selbst erlebte. Wahrnehmungen würden kommen und gehen; ich ließe sie vorüberziehen. Nur dadurch, dass ich mein Selbst wahrnehme und merke, dass mit jeder Wahrnehmung sich auch dessen Inhalt ändert, sehe ich mich gezwungen, die Beobachtung des Gegenstandes mit meiner eigenen Zustandsveränderung in Zusammenhang zu bringen und von meiner Vorstellung zu sprechen. (Quelle: R. Steiner “Die Welt als Wahrnehmung” | Bereitgestellt von James Stewart, Rudolf Steiner Archive)




schlagwörter: wahrnehmungen, wahrnehmungen, beobachtung

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